„Fasten“ und „Hungern“ sind Begriffe, die allgemein für die Einschränkung oder den völligen Verzicht auf die Nahrungsaufnahme verwendet werden. Obwohl beide Ernährungseinschränkungen beinhalten, unterscheiden sie sich biochemisch, physiologisch und ethisch.
Erstaunlicherweise wird der Begriff „Hungern“ im Gesundheitskontext häufig verwendet. Die Verwendung des Wortes „verhungern“ deutet auf etwas Negatives mit dem Ziel, ein positives Ergebnis zu erzielen.
Die Verwendung des Begriffs Hungern und seine historischen Wurzeln
Meiner Meinung nach sollte die Verwendung des Begriffs „Hungern“ im Fachlexikon moderner Ernährungsberater und Ärzte korrigiert werden. Wenn man unter diesem Begriff über eine Diät oder eine Ernährungsweise spricht, kann dies dem Patienten den Eindruck von etwas Negativem und Unerwünschtem vermitteln. Hungern widerspricht dem natürlichen menschlichen Bedürfnis nach Nahrung. Gemäß der Bedürfnishierarchie von Maslow zählen physiologische Bedürfnisse, darunter auch Essen, zu den Grundbedürfnissen. Ein völliger Verzicht auf Nahrung oder eine starke Einschränkung der Nahrungsaufnahme, was manche als „Hungern“ bezeichnen, widerspricht daher unseren Grundbedürfnissen. Gesundheitsfachkräfte müssen bei der Wahl der Terminologie vorsichtig sein, um falsche Vorstellungen über gesunde Ernährung und ihre Bedeutung für unser Leben zu vermeiden.
Einfluss der russischen Kultur und Erfahrungen aus der Sowjetzeit auf die Terminologie
Es ist möglich, dass die Wahl dieses Wortes auf einen langjährigen Eindruck der russischen Sprache zurückzuführen ist. Auch im Russischen sind die Wörter „голод“ (Hunger) und „пост“ (Fasten) unterschiedliche Begriffe. Jeder hat seine eigene Bedeutung und historische Konnotation, insbesondere angesichts der Geschichte der Sowjetunion.
Голод (Hunger)
Dieser Begriff wird am häufigsten mit einem extremen Mangel an Nahrungsmitteln oder einer unzureichenden Verfügbarkeit dieser Nahrungsmittel in Verbindung gebracht. In der Geschichte der Sowjetunion gab es mehrere Hungersnotperioden. Die bekannteste, aber nicht die einzige, war die große Hungersnot in der Ukraine (Holodomor) in den Jahren 1932–1933, als mehr als drei Millionen Menschen verhungerten. Eine Million Menschen verhungerten während der Blockade Leningrads im Zweiten Weltkrieg. Die Hungersnot hatte Auswirkungen auf die Kultur (Sparsamkeit) und das Bewusstsein (Angst vor Knappheit) der Gesellschaft.
Пост (Fasten)
Dieser Begriff steht im Zusammenhang mit religiösen Praktiken, bei denen Menschen den Verzehr bestimmter Nahrungsmittel in ihrer Ernährung freiwillig einschränken oder vermeiden. Beim „пост“ handelt es sich nicht um einen Nahrungsmangel, sondern vielmehr ist es Teil der religiösen Pflichten von Gläubigen. Die russisch-orthodoxe Kirche hat im Laufe des Jahres mehrere Fastenzeiten festgelegt. Diese Fastenpraxis ist tief in der russischen Kultur verwurzelt. Der Einfluss der Sowjetzeit auf die Verwendung dieses Begriffs hängt mit der offiziellen Politik des Atheismus und der Einschränkung religiöser Praxis zusammen. Obwohl der Sowjetstaat die Popularisierung der Religion auf verschiedene Weise einschränkte und herabsetzte, geriet die Fastenzeit als Tradition in vielen russischen Familien nicht in Vergessenheit.
Während der Sowjetzeit dominierte das Wort „голод“. Die durch äußere Umstände bedingte Nahrungsmittelknappheit, die späteren Erinnerungen daran und Überlegungen dazu waren ein schmerzlicher Teil des Lebens der Sowjetbevölkerung.
Medien und wissenschaftliche Literatur auf Englisch
In der englischsprachigen wissenschaftlichen Literatur finden Sie die Wörter „starving diet” oder „intermitent starving’’ nicht. Dort wird der Begriff „fasting“ verwendet. Das Wort „starving” wird im Zusammenhang mit Nährstoffmangel bei der Untersuchung von hungernden Menschen in der perioperativen Phase (vor und nach der Operation) sowie in Fällen von Mangelernährung, Kachexie und auch Anorexie verwendet.
In der wissenschaftlichen Literatur kann die Verwendung der Begriffe „fasting” und „starving” je nach Kontext und konkreter Studie variieren. Unter „fasting“ versteht man im Allgemeinen einen freiwilligen Verzicht auf Nahrung und/oder Getränke für einen bestimmten Zeitraum – meist aus religiösen oder gesundheitlichen Gründen [1]. Das Fasten wird auf mögliche gesundheitliche Vorteile untersucht, zum Beispiel Übergewichtsverlust, verbesserte Stoffwechselgesundheit und ein verringertes Risiko für chronische Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs [2,3].
Der Begriff „starving“ bezieht sich im Allgemeinen auf extremen Hunger und Mangelernährung aufgrund unzureichender Nahrungsaufnahme oder anhaltendem Hunger [5]. Hunger kann schwerwiegende negative Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit haben, darunter Gewichtsverlust, Muskelermüdung, Organschäden und verminderte kognitive Funktionen [5]. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass Hunger allgemein als gesundheitsschädlicher Zustand gilt.
In den letzten Jahren hat das von Dr. Walter Longo entwickelte Konzept der „Fasting mimicking diet” an Popularität gewonnen. Sein Zweck besteht darin, die biochemischen und physiologischen Mechanismen des Fastens zu imitieren und gleichzeitig Nährstoffe aufzunehmen, die den Körper in einem Fastenzustand halten, den man als „Fasten“ (fasted state) bezeichnen könnte.
Wenn Mediziner in diesem Zusammenhang den Begriff „Hungern“ verwenden, stellt sich die Frage, ob sie die wahre Bedeutung dieses Wortes verstehen. Indem ich sage: „Hunger ist, wenn man in den Wald gebracht wird und es nichts zu essen gibt“, versuche ich die Tragik dieser durch äußere Umstände verursachten Zwangssituation hervorzuheben.
Formen des Hungerns
Hunger kann durch verschiedene Faktoren verursacht werden:
- Krieg – durch Bürgerkriege, ethnische Konflikte u.ä. kann es zu einer Unterbrechung der Nahrungsversorgung führen und die Menschen sind gezwungen, mit begrenzten Nahrungsmengen zu überleben.
- Naturkatastrophen – Dürre, Überschwemmungen u.ä. kann in bestimmten Gebieten zu Nahrungsmangel führen.
- Psychische Probleme – Anorexie kann dazu führen, dass der Mensch die Nahrung verweigert, selbst wenn diese verfügbar ist.
- Onkologische Erkrankungen – einige Krebsarten können Appetitlosigkeit verursachen. Dies kann zu Kachexie, einer extremen Form des Gewichtsverlusts, führen.
- Soziale Isolation – Menschen, die isoliert von der Gesellschaft leben, wie etwa Senioren oder Personen mit körperlichen Behinderungen, haben möglicherweise Schwierigkeiten Nahrung zu erhalten.
Die Empfehlung zum Hungern ist ethisch falsch, auch wenn die Person, die es empfiehlt, Gutes tun möchte. Der Patient könnte diese Empfehlung unbewusst als extrem und äußer empfinden – etwas, das vermieden werden sollte.
Biochemische und physiologische Unterschiede
Um den Unterschied zwischen Fasten und Hungern im menschlichen Körper zu verstehen, müssen die Grundprinzipien der Energieregulierung bekannt sein. Protokolle des Fastens können unterschiedlich sein, das grundlegende Ziel aus biochemischer und physiologischer Sicht ist jedoch dasselbe. Am akzeptabelsten ist, meiner Meinung nach, das Insulin-Kohlenhydrat-Modell [6].
Man geht davon aus, dass das Hauptziel des Fastens darin besteht, den Insulinspiegel im Blut zu senken, indem der Kohlenhydratstoffwechsel optimiert und die Insulinsensitivität verbessert wird, wodurch eine effizientere Glukoseverwertung und -speicherung in den Zellen gefördert wird.
Warum ist das wichtig?
- Rolle von Insulin: Insulin ist ein Hormon, das von der Bauchspeicheldrüse produziert wird und auf erhöhte Blutzuckerspiegel nach einer Mahlzeit reagiert. Seine Hauptfunktion ist, den Zellen bei der Aufnahme von Glukose zu helfen, damit diese als Energiequelle genutzt oder als Glykogen gespeichert werden kann.
- Insulinresistenz: ist der Insulinspiegel im Blut über längere Zeit zu hoch, kann eine Resistenz der Zellen gegen Insulin entstehen. Das bedeutet, dass sie mehr Insulin benötigen, um die gleiche Menge an Glukose aufzunehmen. Dies kann zu Typ-2-Diabetes führen.
- Glykogenspeicherung: Glykogen ist die Art, wie unser Körper Glukose speichert. Dies geschieht vor allem in der Leber und den Muskeln. Nach dem Fasten, wenn wir wieder essen, wird Glukose in die Zellen aufgenommen und als Glykogen gespeichert, wodurch Energiereserven bereitgestellt werden.
- Richtige Energieversorgung: eine effiziente Nutzung und Speicherung von Glukose in den Zellen sorgt dafür, dass unserem Körper bei Bedarf die nötige Energie zur Verfügung steht. Darüber hinaus verringert das die Ansammlung von übermäßigem Zucker im Blut.
Fasten ist eine wirksame Methode die Insulinwirkung in unserem Körper zu optimieren, den Kohlenhydratstoffwechsel zu verbessern und das Risiko chronischer Erkrankungen zu verringern. Durch die Senkung des Insulinspiegels und die Verbesserung der Insulinsensitivität nutzt der menschliche Körper Glukose effizienter und akkumuliert sie in den Zellen. Dadurch wird eine ausreichende Energieversorgung sichergestellt und das Risiko unerwünschter Komplikationen (Fettleibigkeit, Metabolisches Syndrom, CD2) verringert.
Fasten | Hungern | |
Definition | Freiwillige vorübergehende Einschränkung der Ernährung. | Längerer Mangel an Nährstoffen – kann freiwillig oder erzwungen sein. |
Energiequellen | Zunächst werden die Glykogenreserven genutzt, dann Fett. | Zuerst wird Glykogen verbraucht, dann Fett, Muskeln und innere Organe. |
Hormonelle Veränderungen | Der Insulinspiegel sinkt, der Peptid-Y-Noradrenalinspiegel und das menschliche Wachstumshormon nehmen zu. | Der Insulinspiegel sinkt, der Cortisolspiegel steigt. |
Nährstoffmangel | Von kurzer Dauer und weniger ausgeprägt. | Langfristiger Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen, was gesundheitliche Probleme verursacht. |
Empfohlene Dauer | Von 16 Stunden bis zu einigen Tagen. | Ohne ärztliche Aufsicht nicht empfohlen. |
Gesundheitliche Vorteile | Verbessert die Insulinsensitivität, den Kohlenhydratstoffwechsel und die Gesundheitsindikatoren. | Längeres Hungern kann zu schweren gesundheitlichen Problemen und zum Tod führen. |
Risiko | Gering, wenn dies korrekt, umsichtig und unter der Aufsicht eines medizinischen Fachpersonals erfolgt. | Nährstoffmangel, Muskelschwund, hormonelle Veränderungen und gesundheitliche Risiken, Tod. |
Unterschied zwischen Fasten und Hungern
Fasten-Definition und persönliche Erfahrungen
Fasten ist eine bewusste Entscheidung des Menschen, wenn er für eine bestimmte (begrenzte) Zeitspanne auf Nahrung oder eine Kombination bestimmter Nährstoffe verzichtet, mit dem Ziel, seine Gesundheit zu verbessern. Dieser Ansatz ist nicht nur theoretisch. Ich praktiziere dies seit 2014 und faste fast jeden Tag. Mein persönliches Fastenprotokoll sieht heute eine Mahlzeit pro Tag vor, d.h. Abendessen. An Sporttagen nehme ich morgens Proteine und Fette zu mir und versorge den Körper so mit den nötigen Nährstoffen, um nicht in den Katabolismus zu geraten.
Darüber hinaus habe ich auch Präbiotika in meine Ernährung integriert, und zwar das von mir selbst entwickelte Galactooligosaccharid (GOS)-Produkt PreImma. Diese Präbiotika nähren nicht nur die nützliche Darmmikroflora, sondern tragen auch zur Aufrechterhaltung eines optimalen pH-Werts im Darm bei, ohne den Insulinspiegel zu erhöhen. Die Einnahme von Präbiotika während des Fastens verbessert auch das Darmmikrobiom.
Um den Körper wiederum mit wichtigen Spurenelementen zu versorgen, nehme ich neben Magnesiumchelat und Vitamin K2 auch Vitamin D ein. Magnesium ist für die Vitamin-D-Aktivierung essentiell und seine Kombination sorgt für einen optimalen Vitamin-D-Spiegel im Körper [7].
Ein bewusster Umgang mit dem Fasten erfordert, wie in jedem Gesundheitsbereich, sowohl Wissen als auch Disziplin. Wichtig ist beim Fasten die Beratung von Fachärzten und regelmäßige Gesundheitschecks. Jeder Einzelne hat seine eigenen spezifischen Ernährungsbedürfnisse und Reaktion auf ein bestimmtes Ernährungsschema; daher ist es wichtig den Ansatz, den ich mit meinen Patienten und Kunden praktiziere, individuell zu gestalten.
Ich möchte die Bedeutung der Wahl der Terminologie im Gesundheitsbereich hervorheben. Die von uns gewählte Wortwahl kann die Einstellung des Patienten gegenüber einer bestimmten Behandlung oder einem bestimmten Ernährungsansatz beeinflussen. Das Wort kann sowohl anziehend wirken, als auch Widerstand erzeugen und abstoßend wirken. Fasten als eine bewusste Entscheidung zur Verbesserung der Gesundheit kann für viele wertvoll sein, die Ausübung muss jedoch bewusst und wissenschaftlich fundiert sein. Dies sollte unter der Anleitung eines medizinischen Fachpersonals erfolgen. Hungern als eine erzwungene Situation oder als eine Methode ohne entsprechendes Verständnis kann schädlich sein. Gesundheitsfachkräfte sollten verantwortungsbewusst sein und Worte wählen, die ihre Arbeit genau widerspiegeln, ohne sie falsch darzustellen. Wir müssen einen gesunden und ausgewogenen Ernährungsansatz fördern und dabei die individuellen Bedürfnisse und den kulturellen Kontext eines jeden Einzelnen berücksichtigen.
Referenzen:
[1] Visioli, F., Mucignat-Caretta, C., Anile, F., & S, P. (2022). Traditional and medical applications of fasting. Nutrients, 14(3), 433.
[2] Armutcu, F. (2019). Fasting may be an alternative treatment method recommended by physicians. Electronic Journal of General Medicine, 16(3), em138.
[3] Scharf, E., Hwang, S., Thompson, N., Gilbert, M., Alexandrakis, F., Bonjour, M., … & Myers, T. (2020). A pilot study on the effects of medically supervised, water-only fasting and refeeding on cardiometabolic risk.
[4] Horne, B., Muhlestein, J., & Anderson, J. (2015). Health effects of intermittent fasting: hormesis or harm? a systematic review. American Journal of Clinical Nutrition, 102(2), 464-470.
[5] Kueper, J., Beyth, S., Liebergall, M., Kaplan, L., & Schroeder, J. (2015). Evidence for the adverse effect of starvation on bone quality: a review of the literature. International Journal of Endocrinology, 2015, 1-7.
[6] David S Ludwig, Louis J Aronne, Arne Astrup, Rafael de Cabo, Lewis C Cantley, Mark I Friedman, Steven B Heymsfield, James D Johnson, Janet C King, Ronald M Krauss, Daniel E Lieberman, Gary Taubes, Jeff S Volek, Eric C Westman, Walter C Willett, William S Yancy, Jr, Cara B Ebbeling, The carbohydrate-insulin model: a physiological perspective on the obesity pandemic, The American Journal of Clinical Nutrition,Volume 114, Issue 6, 2021,Pages 1873-1885.
[7] Uwitonze, Anne Marie and Razzaque, Mohammed S.. „Role of Magnesium in Vitamin D Activation and Function“ Journal of Osteopathic Medicine, vol. 118, no. 3, 2018, pp. 181-189.